Kaum ein Land hat sich so vehement gegen das Eindringen von Anglizismen gewehrt wie Frankreich. Doch ausgerechnet zur Woche der französischen Sprache in diesem Jahr erklärte die neue Kulturministerin, dass englische Neuwörter keine Eindringlinge, sondern Präsente seien.
Seit Jahrhunderten wacht die Académie française (auch Club der Unsterblichen genannt) über die französische Sprache. Vor allem Anglizismen werden streng geprüft. Doch verstehe wer will, warum le week-end laut Académie kein korrektes Französisch ist, le night-club aber schon. Auch ließen sich die sprachgewandten Franzosen nicht davon abbringen, zahlreiche englische Ausdrücke in ihrem eigenen Stil zu übernehmen (wie le lifting, le talkie-walkie und googliser) oder selbst zu schaffen (wie le footing für jogging).
In den 60er Jahren wurde ein Hohes Komitee zur Verteidigung und Verbreitung der französischen Sprache gegründet. Spezielle Terminologiekommissionen veröffentlichten Listen, in denen sie Anglizismen durch französische Wörter ersetzten, z.B. fair-play durch franc-jeu, pocket-radio durch récepteur de poche und disc-Jockey durch animateur. Das Toubon-Gesetz von 1994 schließlich verfügte, dass sämtliche Werbung, Arbeitsverträge und rechtliche Dokumente auf Französisch abzufassen seien. Folglich mussten alle englischen Werbesprüche und, zumindest im amtlichen Französisch, auch viele Lehnwörter übersetzt werden.
Manche dieser französischen Neubildungen verbreiteten sich, vor allem im Bereich der Informatik – z.B. ordinateur für Computer und logiciel für Software. Doch andere Versuche kamen niemals im Alltag an, etwa das week-end durch vacancelles zu ersetzen. Für Heiterkeit sorgten auch Vorschläge wie planche acrobatic terrestre für skateboard, rémue-méninges für brainstorming oder sac gonflable für airbag. So nahm der Kampf gegen das Franglais (dem das deutsche Wort Denglisch nachgebildet ist) bisweilen skurrile Formen an.
Die Kulturministerin Fleur Pellerin fegte diese traditionelle Sprachpolitik im März 2015 mit einer schlichten Bemerkung beiseite: „Französisch ist nicht in Gefahr, und meine Aufgabe als Ministerin ist es nicht, nutzlose Dämme gegen andere Sprachen zu errichten, sondern allen unseren Staatsbürgern die Mittel zu geben, Französisch lebendig zu erhalten.“ In der französischen Öffentlichkeit riefen diese Worte erstaunlicherweise keine nennenswerten Reaktionen hervor – wahrscheinlich weil die Ministerin die Zeichen der Zeit erkannt hat!
Sabine Manning
PS: Zur weiteren Lektüre empfehlen wir Lena Bopp (FAZ) und Matthias Heine (Die Welt).
Als Kind las ich die „Nesthäkchen“-Bände, die meine Mutter seit ihrer Kindheit und Jugend aufbewahrt hatte, darunter den heute nur noch antiquarisch erhältlichen Band „Nesthäkchen und der Weltkrieg“. (Gemeint ist der Erste Weltkrieg.) In diesem Band, so erinnere ich mich, „verdammte“ das vorübergehend recht patriotisch gestimmte Nesthäkchen alle Familienmitglieder dazu, statt Fremdwörtern nur noch deutsche Wörter zu gebrauchen, also: „Geldtasche“ statt „Portemonnaie“, „Suppenschüssel“ statt „Terrine“, „Mundtuch“ statt „Serviette“…
Schon als Kind ahnte ich, wie albern dieses Anliegen war. Entsprechend gut gefällt mir jetzt das Bild von den „nutzlose(n) Dämmen gegen andere Sprachen“ (siehe Ende des obigen Artikels). Wie viele aus anderen Sprachen übernommene Wörter gut tun, ist natürlich wieder eine andere Frage…
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