Grexit, Brexit – alles klar?

Zwei eigenartige Wörter markieren gegenwärtig die europäische Debatte – ‚Grexit‘ und ‚Brexit‘. Sie erwecken den Anschein, als wäre der (eventuelle) Austritt von Griechenland und Großbritannien kurz und einfach. Doch sie verhüllen, was tatsächlich ansteht…

Leicht erkennbar ist zunächst die Wortschöpfung: Grexit aus Greek (griechisch) exit (Ausgang, Austritt), Brexit aus British exit, daneben auch Brixit aus Britain exiting from the EU. Hier zeigt sich der Trend in der englischen Sprache, Kurzwörter zu bilden, in denen Teile mehrerer Wörter zu einem inhaltlich neuen Begriff verschmelzen (blended word).

Grexit und Brexit sind also eigenständige Begriffe. In ihnen steckt mehr als die einfache Gedankenverbindung von ‚Land‘ und ‚Austritt‘. Keinesfalls passt die Vorstellung vom Fluchtweg, die sich beim Wort exit leicht vor unserem geistigen Auge einstellt.

Die ersten ‚Fundorte‘ der Begriffe erhellen bereits die inhaltliche Ausrichtung. Grexit wurde von Analysten der amerikanischen Citygroup (Februar 2012) eingeführt. Wahrscheinlich davon inspiriert, tauchten in britischen Medien kurz danach (Juni 2012) die Begriffe Brexit bzw. Brixit auf. Trotz dieses gemeinsamen Hintergrunds werden sie jedoch in unterschiedlichen Zusammenhängen benutzt. Beim Grexit geht es um den griechischen Rückzug aus der Eurozone, beim Brexit um das Ausscheiden Großbritanniens aus der Europäischen Union.

Der jeweils spannende Punkt dabei ist das Wort exit: was genau ist gemeint? Der Brexit zielt auf einen vom Volk selbst zu entscheidenden Austritt oder Verbleib (Referendum bis 2017). Das politisch Brisante daran ist, dass national-konservative Gruppen auf den Austritt drängen, während die Wirtschaftselite (speziell die City) den Verbleib in der EU anstreben, und die Regierung Cameron, vom Brexit gejagt, um Zugeständnisse in der EU ringt.

Der Grexit hingegen wäre entweder als ein Rauswurf oder ein aufgezwungener Austritt, keineswegs jedoch als Wille des Volkes zu betrachten. Und das besondere Problem dabei: aus dem Euro kann man gar nicht austreten – ein Grexit aus der Währungsgemeinschaft ist in den Verträgen nicht vorgesehen. Wie hingegen ein Ausschluss aus der Eurozone abliefe, ist (noch!) nicht bekannt.

Angesichts dieser komplizierten Fragen, ganz zu schweigen von den unabsehbaren Folgen, wird deutlich, wie irreführend die Kurzwörter Grexit und Brexit eigentlich sind, zumindest wenn man sie wörtlich bzw. bildlich nimmt. Letztlich verhüllen sie die derzeit dramatische Situation in Europa. Wie der Spiegel (Nr. 26/2015, S.11) anmerkt: „Grexit und Brexit – so verniedlichend wird benannt, was der Anfang vom Ende des geeinten Europa sein könnte“. Nichtsdestotrotz wird der Spiegelartikel unter dem Titel „Grexit, Brexit…“ (S.1) angekündigt!

Wie sollte man mit diesen ‘Hüllwörtern’ in der politischen Debatte umgehen? Einerseits ziehen sie die Aufmerksamkeit an, andererseits verharmlosen sie die tatsächlichen Probleme. Also Brexit und Grexit vermeiden oder nutzen und erörtern?

Sabine Manning

PS: 3.2.2016

Der britische Premier versucht derzeit, der EU-Kommission Zugeständnisse abzuringen, bevor das Referendum über einen ‘Brexit’ ansteht. Es gibt zwar Entgegenkommen in der EU, doch die Gefahr liegt im ‘Braccident’ (aus ‘Britain’ und ‘accident’) – einem unbeabsichtigten Scheitern Camerons im Referendum (vgl. Berliner Zeitung v. 30./31.1.16). Warten wir den Ausgang ab – vielleicht beschert der uns noch eine weitere Wortschöpfung!

5 Gedanken zu „Grexit, Brexit – alles klar?

  1. Pingback: Sprachkritisch unterwegs – Foruminfo 03/2015 | Forum Sprachkritik und Politik

  2. Im Netzwerk Xing (Gruppe ‚Politik‘) wurde der Beitrag „Grexit, Brexit“ lebhaft diskutiert. Hier sind Auszüge aus der Diskussion (22./23.7.15):

    R.Wö.
    Grexit, Brexit, MoMa, GroKo … das ist Kinder- oder Comicsprache, aber keine den Erwachsenen altersgemäße angemessene Sprache. Irgendwie habe ich seit einigen Jahren den Eindruck, dass die Sprache aus der Realität ausgewandert ist.

    M.P.
    Ich teile die Ansicht nicht, dass diese Wörter irgendetwas verschleiern. Sprache ist zuerst einmal ein Kommunikationsmedium, und diese Wörter sagen schlicht aus, was gemeint ist – ein Austritt aus politischer Union (Brexit) und im Falle des Grexit auch ein Austritt aus der Währungsunion der Eurozone.

    R.Wö.
    Da haben wir es doch schon: Informations-/Bedeutungsverlust durch Verkürzung… Neben der semantisch-informativen Funktion hat Sprache noch eine andere: eine signal-ritualähnliche. Solche (geistlosen) Kofferwörter werden in aller Regel aus dem Motiv der Wichtigtuerei heraus geboren.

    M.P.
    Für Sprachpuristen sind solche Wortkreationen vielleicht ein Gräuel, für Sprachwissenschaftler sorgt die Aufregung darum vermutlich nur für ein müdes Lächeln, ist Sprache doch immer einer Evolution unterworfen, insbesondere seitdem der Kontakt mit anderen Sprachräumen leichter und durch die globale Migration beschleunigt wird. Das ist wohl die normative Kraft des Faktischen, wie FJS mal prägend sagte.

    R.Wö.
    Das hat nichts mit Sprachpuritanismus zu tun, sondern mit der generellen Entwicklung: Simplifikation der (Alltags-)Sprache. Das kann Ihnen jeder dienstältere Prof bescheinigen, dass die Ausdrucksfähigkeit von Studierenden seit gut 3 Jahrzehnten kontinuierlich sinkt.
    Für mich ist Sprache ein Kulturgut. Man „hat“ Verabredungen/ Vereinbarungen, „macht“ Entscheidungen, „kann“ Kanzler etc. Vergleichen Sie „Die Tagesschau von vor 25 Jahren“ mit einer aktuellen (Wettervorhersage). Temperaturen sinken oder steigen nicht mehr, sondern sie gehen runter oder rauf. Morgen schneit es oder regnet es nicht mehr, sondern „es gibt“ Regen oder Schnee. Normale Redewendungen und Idiome werden immer mehr durch Allerweltsverben wie machen/haben/geben/tun ersetzt, Nebensatzkonstruktionen auf Gedeih und Verderben vermieden: „Ich kann nur kurze Sätze. Weil ich habe es nicht anders gelernt.“
    Sudoku etc. soll sich positiv auf die Gehirnentwicklung auswirken – warum nicht auch eine an Struktur, Ausdruck und Morphologie reiche Sprache?
    Die Welt wird immer komplizierter und komplexer, die Abbildung durch Sprache hingegen immer simpler? Letzteres kann ersterem nicht gerecht werden.

    R.We.
    Und damit beißt sich die Katze in den Schwanz. […] Aber diese Abkürzeritis ist schon krankhaft, und greift erst seit etwa 25 Jahren massiv um sich. Aber generell ist der kreative Umgang mit Sprache etwas positives, weil er die Sprache lebendig erhält.

    M.R.
    Ich nehme an, dass zu allen Zeiten über die moderne Sprache gejammert wurde. Social-Media üben heute einen gewaltigen Einfluss auf die Sprache aus. Unsere Welt wird komplexer und schneller zugleich: allein dieses unter dem Begriff „Dynaxity“ zusammengefasste Faktum erklärt, warum sich die Sprache anpassen und mit simplen Begriffen komplexe Sachverhalte vereinfachend darstellen muss. Ohne Vereinfachungen würden wir von der Anzahl der Wörter, die nötig sind, um die Realität zu beschreiben, schlichtweg überrollt. Ein großes Problem? Meines Erachtens nicht. Der Rückzug in die große Welt der Literatur ist ja jederzeit möglich.

    S.M.
    Die verschleiernde Wirkung der Wörter ‚Grexit‘ und ‚Brexit‘ hängt bestimmt mit dem Verniedlichen/Verkürzen zusammen (R.Wö: „Informations-/Bedeutungsverlust durch Verkürzung“).
    Kurz- oder Kofferwörter dieser Art können wichtigtuerisch wirken, doch ich würde eher dem Argument von M.R. folgen, dass es hier um „simple Begriffe“ für „komplexe Sachverhalte“ geht. Der Trend zu ‚blended words‘ im Englischen hat genau diesen Hintergrund.

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  3. Sehr gute Erklärungen. Ich kann mir gut vorstellen, dass immer noch viele nicht wissen, was sich hinter diesen Begriffen verbirgt. Das wird dem ein oder anderen hier sicherlich eine große Hilfe sein.

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  4. EUROSPRECH!!!: Nach BREXIT und GREXIT ermöglicht uns das folgende ‚Vokabelverzeichnis‘, endlich, das zum Ausdruck zu bringen, was der EU noch alles bevorstehen könnte:
    BEXIT (B); BUEXIT (BG); CZEXIT (CZ); DEXIT (DK/D); ESTEXIT (EST); FINEXIT (FIN); FREXIT (F); HUNXIT (H); IRLEXIT (IRL); ITEXIT (I);KREXIT (HR); LEXIT (LV/LT): LUEXIT (L); MAEXIT (M); NEXIT (NL); OEXIT (A); PLEXIT (PL/P) ROEXIT (RO); SPEXIT (E); SLEXIT (SK/SLO); SVEXIT (S); ZYXIT (CY). – Viel Spaß beim Zuordnen! – Helmut Reisener

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