Beinahe wäre ‚Hotspot‘ zum Anglizismus des Jahres 2015 gekürt worden. Aber was versteht man darunter? Das Wort geistert mit unterschiedlichen Bedeutungen und kontroversen Debatten durch unsere Medien.
Die EU will ‚Hotspots‘ für ankommende Flüchtlinge in Griechenland und Italien einrichten (vgl. Spiegel Online 19.1.16). Das sind Zentren, die im Schnellverfahren die Geflüchteten registrieren und entweder weiterschicken oder abschieben sollen (d.h. Erstaufnahme- bzw. Abschiebezentren). ‚Hotspot‘ bedeutet hier also ‚Sammel- und Verteilungsstelle‘ und suggeriert effizientes Agieren: Der Flüchtlingsstrom nach Europa soll mit allen Mitteln gestoppt werden. Doch tatsächlich funktioniert das bisher nicht, wie das Zentrum Moria auf Griechenland zeigt.
‚Hotspot‘ in dieser Bedeutung steht bisher weder im Online-Duden noch in der Wikipedia. Aber das Wort ist nicht neu, sondern eine Umdeutung: In der EU-Flüchtlingspolitik sind hot spots kleine multinationale Beratungsteams, die in Flüchtlingslagern die Behörden bei Asylverfahren und Grenzsicherung unterstützen. Erst beim Krisengipfel der EU zu Flüchtlingsfragen (September 2015) haben die Staats- und Regierungschefs die hot spots zu Zentren umdefiniert. Seitdem versteht man in der EU unter diesem Begriff völlig verschiedene Dinge, was zu irritierenden Missverständnissen führen kann (vgl. Riegert u. Eklat mit Bulgarien).
Allgemein bezeichnet ‚Hotspot‘ einen Krisenherd oder einen Ort, an dem sich eine bestimmte Entwicklung konzentriert – etwa wo die meisten Asylbewerber erstmals europäischen Boden betreten (vgl. Ziedler). Gemeint ist also etwas, das ein hohes Konfliktpotenzial in sich birgt und von großer Brisanz ist (vgl. Sedlaczek). Das käme dem deutschen Wort ‚Brennpunkt‘ nahe. Und diese Grundbedeutung lässt sich auch bei den neu definierten ‚Hotspots‘ nicht verdrängen – sie könnte die Zentren einholen, wenn diese sich als untauglich erweisen.
Jenseits der Politik gibt es eine ganz andere ‚Hotspot‘-Debatte: Es geht um drahtlose Zugriffspunkte zum Internet, für jedermann zugänglich. Sie funktionieren mit einem lokalen Funknetz (WLAN) und sind sowohl in öffentlichen Räumen (Bibliotheken, Krankenhäusern, Flughäfen, Bahnhöfen) als auch in privaten (Restaurants, Cafés, Hotels) installiert (Wikipedia). Ein ‚Hotspot‘ als Internetzugang ist also ein Punkt, der Daten sendet. Die Bundesregierung strebt mehr öffentliche Hotspots in den Städten an, doch der Gesetzentwurf ist wegen der unsicheren Rechtslage umstritten. Der WLAN-Anbieter muss sich nämlich von den Nutzern die Zusicherung einholen, keine Rechtsverletzung zu begehen, sonst haftet er selbst (vgl. Spiegel Online 16.9.2015) .
Schon lange ist ‚Hotspot‘ als Fachbegriff in den Naturwissenschaften verbreitet, beginnend mit der Vulkanforschung. Dort bezeichnet das Wort einen heißen (hot) Fleck (spot) auf der Erdkruste – das könnte also die ursprüngliche Bedeutung sein (vgl. Riegert). Doch es gibt auch populäre Anwendungen: Als „Hotspots der biologischen Vielfalt“ gelten 30 Regionen in Deutschland mit einer besonders hohen Dichte und Vielfalt charakteristischer Arten, Populationen und Lebensräume (vgl. Bundesamt für Naturschutz). In einer arte-Doku wurde ein „Hotspot der Biodiversität“ vorgestellt: die Zeche Zollverein als Stätte der wiederkehrenden Natur. In ähnlichem Sinne kann hot spot im Englischen allgemein einen Ort mit besonders viel Aktivität bezeichnen.
Überblicken wir die aufgeführten ‚Hotspots‘, so lässt sich zwar überall mit etwas Phantasie ein ‚heißer Punkt‘ ausmachen, aber die tatsächlichen Bedeutungen sind breit gefächert. Wenn es also ‚Hotspot‘ nicht zum „Anglizismus des Jahres“ (vgl. Shortlist) geschafft hat, so könnte es zweifellos als Multitalent unter englischen Trendwörtern kandidieren.
Sabine Manning
Der ´Hotspot` ist wirklich ein sehr interessantes Beispiel für die Spiegelung gesellschaftlicher Veränderungen. Er wird sich mit Sicherheit im deutschen Allgemeinwortschatz behaupten können, denn die Einzelbestandteile -hot- und -spot- sind deutschen Sprechern vermutlich gut bekannt. Immerhin war der ´Hotspot´ein Kandidat für den #Anglizismus 2015. Wie aber wird es dem
´Hashtag`, dem Wort für das dem Anglizismus beigefügte Rautensymbol, ergehen?
Ich erinnere mich ungern an unsere Kanadareise im Jahr 2005, weil ich bei dem Versuch, nach Hause zu telefonieren, vom ´operator`
am anderen Ende der Leitung aufgefordert wurde, den ´hashtag` zu drücken. Von diesem Wort verstand ich nur -hash- und damit automatisch -Hashish-. Wieso war in einem harmlosen Telefongespräch von Drogen die Rede ? Den 2. Bestandteil -tag- nahm ich in meiner Verwirrung gar nicht wahr. Dabei hätte mir doch vielleicht hinterher der teilweise schon im deutschen Verkaufsjargon übliche -price tag-, also das Etikett, das Zeichen, einfallen können.
Erst später bin ich aufgeklärt und eigentlich erst durch den feministischen Hashtag AUFSCHREI für dieses Wort sensibilisiert worden.
Ein bekannter Politiker hatte sich einer Journalistin gegenüber respektlos benommen. Der ´Hashtag` hatte, zusammen mit dem ´Shitstorm`, seine große Zeit.
In WEBSTER´s College Dictionary, „revised and updated“ 2005, findet sich nur ein Hinweis zu -tag- und -tagging- im Zusammenhang mit der Markierung elektronischer Elemente. Bei den Verb-Bedeutungen wird -hash- (often followed by -out- or -over-) in der Bedeutung von -discuss or review (something) thoroughly- angegeben. Auch der umfängliche LANGENSCHEIDT, in der Neubearbeitung von 2010, verzeichnet den ´Hashtag` nicht. Noch kann also sein Bekanntheitsgrad nicht mit dem ´Hotspot` mithalten.
Insgesamt bestätigt sich der folgende scherzhafte Ausspruch: Progress is a terrible thing. It leaves too many of us behind.
NACHTRAG v. 18.05.2016
Ich fand heute morgen in den Potsdamer Neuesten Nachrichten (Tagesspiegel) folgende Notiz:
Kirchen werden zum „godspot“ : W-Lan in 220 Gotteshäusern
„Nutzer, die sich über „godspot“ einloggen, werden zunächst auf eine Startseite geleitet, die Informationen zum Gebäude und zur Gemeinde sowie zu den Themen Glaube und Leben enthält. Von dort aus können sie sich ohne Anmeldung oder Registrierung frei im Internet bewegen…“
Das finde ich ziemlich lustig.
LikeLike
Den Hotspot-Begriff hat Dr. Sabine Manning wirklich gut und umfassend erklärt. Vielen Dank dafür. Ich selber habe ihn zum ersten Mal auf Hawaii erläutert bekommen, also in vulkanologischem Kontext. Dort entsteht ja gerade über dem Hotspot eine weitere Insel, die in 10.000 Jahren auf der Wasseroberfläche erscheinen wird. Unser Reiseführer nahm schon Buchungen entgegen.
LikeLike
Hot spots / hotspots (English context)
The wealthy south London enclave Dulwich Village, says Moneysupermarket (Guardian report 22 01 26), is the „burglary hotspot of Britain“. Which reminds us that one of three basic meanings of ‚hotspot‘, or ‚hot spot‘ (in German ‚Hot Spot‘), is a place known for violence – see too ‚crime hotspots‘, ‚trouble hotspots‘, ‚accident hotspots‘. These usages are negative.
An alternative reference, however, is to a place that is lively, popular, somewhere fashionable that people like to go to. And you can have environmental or scenic hotspots, or star-studded hotspots such as Hollywood. These meanings, in contrast to the first lot, are all positive.
And a third, contemporary, reference is to a place offering devices for you to connect your portable computer to (such as the internet) without using a cable – for instance an airport, station or restaurant.
But no question, the biggest group of usages seems to be negative. In medicine you can suffer from hotspots in the brain, or in the knees (indicating arthritis). Dogs can get hotspots in the form of painful inflamed patches of skin. A social reference is to civil unrest (global hotspots such a Greece with its refugee problem). Or the fire service may be faced with hotspots left over after a fire. And for the geographer there can be hotspots in a volcano.
For the linguist, an interesting parallel aspect is the enormous range of terms and expressions making use of ‚hot‘. I note that an elderly Concise Oxford I possess (1956), makes no reference to ‚hotspot‘. But it does have ‚hot air‘ (wild talk), ‚hotbed‘ (as in hotbed of vice), ‚hot-blooded‘, ‚hot brained‘, ‚hotheaded‘, ‚hothead‘ and ‚hotspur‘. And returning to the present, there are of course the ‚hot-button‘ issues that ‚hot-tempered‘ folk may want to argue about. Like the negative ‚hotspot‘ matters referred to above!
LikeLike
Im Netzwerk XING gab es auf die Frage „‚Hotspot‘ – woran denken Sie dabei?“ ganz unterschiedliche Antworten:
Christian Schiller – 19.02.16
Bei „Hotspot“ denke ich tatsächlich nur an die lokalen Funknetzwerke. Es ist immer wieder interessant zu sehen, wie man bestehende Begriffe mit neuen Inhalten belegen kann. „Brennpunkt“ neigt ja schon sehr in Richtung Problemzone, Unruheherd usw., ist also negativ konnotiert. Das Wort „Hotspot“ ist es, zumindest für deutsche Ohren, nicht. Vielleicht wurde es deshalb für die Anlaufstellen von Flüchtlingen gewählt.
Peter Wille – 26.2.16
Aus der Atomkraft-Diskussion kenne ich noch den Hot Spot als eng begrenzten, relativ stark kontaminierten Ort durch radioaktive Partikel eines Nuklearunfalls oder einer Kernwaffenexplosion.
https://de.wikipedia.org/wiki/Hot_Spot_(Radioaktivit%C3%A4t)
N.N. – 27.2.16
Da denke ich sofort an geologische Bereiche wie die Vulkanologie.
Peter Wille – 28.2.16
Aktuell läuft jetzt gerade auf Tele5 „The Hot Spot – Spiel mit dem Feuer“ (USA 1990, R Dennis Hopper), eine nicht gerade erstklassische Mischung aus Neo Noir und Erotik-Thriller…
N.N. – 28.2.16
Oh, je…ich schlichtes Gemüt denke lediglich an einen Ort, an dem etwas los ist…
Patrick Kalberg-Khan – 28.2.16
… Genau, Szenebars in Marbella, ein Hot Spot für das Jet Set, aber mit freiem WLAN-Zugang bitte 😉
LikeLike
Pingback: Sprachkritisch unterwegs – Foruminfo 02/2016 | Forum Sprachkritik und Politik