‚Möchtegernhipster‘ als Titelhit

Oft prangen englische Ausdrücke in Überschriften, wie Möchtegernhipster auf einem Titelblatt der Berliner Zeitung (7.12.15). Was ist daran nur modisch und was originell? Und wie verständlich sind diese Kreationen? Lassen wir Fettgedrucktes aus der Presse auf uns wirken.

Wendungen rund um den Lifestyle sind angesagt, z.B. beim Werbespruch der Zeitschrift Blätter: Slow Reading mit dem Untertitel gegen die Schnelllesigkeit unserer Zeit. Er reiht sich in die Slow-Bewegung ein, die eine Entschleunigung des Lebens propagiert und bereits in Mode (Slow Fashion) und Küche (Slow Food) Einzug gehalten hat (vgl. lesen.net).

Ein anderes Beispiel: Der Freitag (45/2015) wirft einen Rückblick auf Erlebnisse im Prenzlauer Berg: Neulich im Bötzowviertel: Die Gentrys kamen in Scharen. Dass es hier um Gentrifizierung geht, wird sicher nicht nur Kennern der Berliner Szene klar sein. Gentrys scheint allerdings eine etwas eigenwillige Wortschöpfung zu sein: Zwar gibt es im Englischen gentry (ehemalige Schicht des untitulierten Landadels und gehobenen Bürgertums) als Ursprung für den Trendbegriff gentrification, doch das englische Wort hat keinen Plural. Unter Gentrys findet man im Internet bestenfalls eine amerikanische Popgruppe aus den 60er Jahren. Also warten wir ab, was aus der Wortschöpfung des Freitag wird.

Flotte englische Ausdrücke sollen auch Themen aufhellen, die oft negativ besetzt sind. Ein Gespür fürs Matching bescheinigt der Freitag (8/2016) einem Projekt, das junge Geflüchtete erfolgreich in die Berufsausbildung bringt. Matching steht hier für das Zusammenführen von geeigneten Bewerbern und Firmen, die Nachwuchs suchen. Oder Speed-Dating mit Flüchtlingen: So betitelt die Berliner Zeitung (3.5.2016) eine Veranstaltung, in der das Deutsche Theater schnell wechselnde Begegnungen mit Geflüchteten inszeniert hat.

Häufig werden englische bzw. amerikanische Eigennamen für Wort- oder Gedankenspiele in den Überschriften verwendet. Nur ein Marken-Buchstabe ziert iZelle auf Eis – analog zu iPad, iPhone –  in der Berliner Zeitung (16.10.14), mit dem enthüllenden Untertitel: „Apple und Facebook zahlen ihren Mitarbeiterinnen das Einfrieren von Eizellen für späteren Kinderwunsch“ (vgl. Social Freezing in AngliLupe+). Mit Hipster von rechts hat die Zeit (13/2015) ein widersprüchliches Phänomen vorgeführt: Wie Neonazis bei ihren Protesten in Frankfurt gegen die Europäische Zentralbank mit „Zinskritik und Jutebeutel auf links machten“. Die Codes und Ästhetik haben sie sich von den Hipstern, also der Subkultur von Jugendlichen der urbanen Mittelschicht, abgeschaut. Solche rechts orientierten Gruppen werden auch als Nipster (Wortmischung aus Nazi und Hipster) bezeichnet. Als Überschrift ist aber Hipster von rechts viel reizvoller.

Ein Dauerbrenner in Überschriften sind Wortverbindungen mit Cyber. Eine Cyberattacke aus dem Ausland meldet die Berliner Zeitung (12.6.15), als digitale Angriffe eines fremden Nachrichtendienstes bekannt geworden sind. Oder wir lesen (18.11.15): Cyber War – Anonymous gegen Islamischer Staat. Nicht weniger brisant ist das Thema Cybermobbing (Beleidigung im Netz), das die Zeitschrift Erziehung und Wissenschaft (6/2015) erörtert hat. Was also macht Cyber so faszinierend? Es ist als Vorsilbe vom englischen Wort cybernetics, also von nüchterner Informationstechnik abgeleitet. Doch die Verknüpfung mit Abenteuerfilmen und -spielen (bereits 1994 kam Cyberwar als PC-Spiel heraus) hat zweifellos eine lebendige Cyber-Vorstellungswelt entstehen lassen.

Beliebt in Titel- und Schlagzeilen ist auch Bashing, z.B. Wem nutzt das Volkswagen-Bashing? (n-tv 24.9.15) oder Schluss mit dem Studenten-Bashing (Zeit 25/2015). Damit ist das Herumhacken auf jemandem gemeint. Im Englischen heißt to bash (ein lautmalendes Wort) sowohl hart schlagen als auch verbal übermäßig angreifen/ öffentlich beschimpfen. Aus dieser Sicht ist der Titel Papa-Bashing sorgt für Lacher (Freitag 38/2015) eher ironisch zu verstehen: Väter, die von „gluckenden Müttern oder sturen Chefs ausgebremst“ werden.

Viele Überschriften folgen modischen Trends, indem sie Events oder Brands aufgreifen, wie Creatives‘ Dinner – eine Stern-Veranstaltung, die gleichzeitig als „kreative Tafelrunde“ vermarktet wird (Stern 48/2015) – oder Im Trend: der Out of bed-Look, der Models im Pyjama „wie aus dem Bett gefallen“ präsentiert (Stern 47/2015).

Insgesamt sollen englische Hits im Titel für Lust und Neugier sorgen. Ob modische Ausdrücke (wie Cyber), überraschende Kombinationen (etwa Hipster von rechts und Studenten-Bashing) oder Neuschöpfungen (z.B. Gentrys und iZelle) – an Einfällen fehlt es nicht. Doch haben sie den gewünschten Effekt? Oder werden sie als künstlich empfunden bzw. gar nicht verstanden? Letztlich werden sich Leser am ehesten locken lassen, wenn sie das jeweils erwartete Thema interessiert!

Sabine Manning

2 Gedanken zu „‚Möchtegernhipster‘ als Titelhit

  1. In der Sprache ist es wie im wirklichen Leben. Zu einer sprachlichen Revolution kommt es dann, wenn ein Gedanke die Massen ergreift, d.h. zum Massenphänomen wird und landauf und landab die Boulevardmedien beherrscht. Was cool, in, hip und trendy ist, wird von den Trendsettern auch derart kommuniziert. Insofern haben bestimmte trendige, weil aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum stammende und deshalb meist anglizistische Begriffsneuschöpfungen auch eine konkrete soziale Gruppenaffinität. Sie sprechen das Lebensgefühl dieser Gruppen an, die sich als Repräsentanten dieser neuen Trends sehen und sich darin auch klar von allen anderen, insbesondere den politisch Altvorderen abgrenzen wollen. Alte sprachliche Kategorien und Schubladen werden den neuen Begriffen nicht mehr gerecht. Diese neuen Begriffe gehen nicht umsonst einher mit neuen, vor wenigen Jahren noch völlig unbekannten Kommunikationswelten. Neue webbasierte Technologien sorgen somit für ihre eigene, blitzschnelle und reichweitenstarke Verbreitung. Clouds, lückenlose WLAN-Netze, Streamingdienste, soziales Networking…etc. haben den Informationsaustausch in kürzester Zeit revolutioniert. Blogger mit Hunderttausenden Followern gehören heute zu den einflussreichsten politischen und sozialen Akteuren. Viele wollen dazugehören und selbst über die belanglosesten Tagesverrichtungen mit Gott und der Welt via Facebook, Whatsapp oder Twitter kommunizieren. Das fördert den Anpassungsdruck auf den kleinsten gemeinsamen und barrierefreien Nenner der globalen Kommunikation. Und dieser Nenner liegt bestimmt nicht im dudenkonformen Gebrauch der deutschen Sprache. Das darf man durchaus auch schlecht finden. Es gibt eine Umweltverschmutzung, eine Lichtverschmutzung, eine Verschandelung unserer Landschaften durch reflektierende Solarpaneele, Mobilfunkmasten und Windräder, warum sollte es keine Sprachverschandelung geben? Es ist ja nicht strafbar, sich als sprachgralshütender Don Quichote gegen die Verschlimmbesserung der deutschen Sprache zu stemmen. Ob man damit eine sprachliche Trendwende und Abkehr von Anglizismen schafft, darf bezweifelt werden.

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    • Vielen Dank, Herr Schmid, für Ihren erfrischenden Kommentar zu anglizistischen Trendsettern. Interessant finde ich u.a. Ihren Hinweis, dass solche Begriffsneuschöpfungen auch eine konkrete soziale Gruppenaffinität haben und somit das Lebensgefühl dieser Gruppen ansprechen. Da wäre es reizvoll zu erkunden, welche Zielgruppen die erörterten ‚Titelhits‘ (Anglizismen in Überschriften von Medien) ansteuern bzw. tatsächlich erreichen. Wir brauchten mehr Wirkungsforschung statt der vielen Debatten über Anglizismen!

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